Pferde: Abstammung, Kulturgeschichte und Merkmale

Pferde: Abstammung, Kulturgeschichte und Merkmale
Pferde: Abstammung, Kulturgeschichte und Merkmale
 
Pferde (Einhufer, Equidae) gehören zur Familie der Unpaarhufer zusammen mit dem Esel, dem Halbesel und drei Arten der Gattung Zebra sowie dem Przewalskipferd (Wildpferd). Die Einhufer treten — anders als die Paarhufer — nur mit der Spitze ihrer Mittelzehe (3. Zehe) auf, die mit einem breiten Huf bekleidet ist. Der zweite und der vierte Mittelfußknochen sind beim Pferd jeweils zu einem schmalen Stab verkümmert. Dies sind die Griffelbeine. Das Hauspferd — das Pferd im engeren Sinne — stammt vermutlich vom Przewalskipferd, dem heute nur noch in Zentralasien lebenden Wildpferd, ab. Anders als die übrigen Mitglieder der Familie der Equidae hat das Hauspferd kurze Ohren, Hornwarzen an allen vier Beinen und einen behaarten Schwanz. Zudem kann das Hauspferd im Unterschied zu seinen »Familienangehörigen« wiehern.
 
 
Vor rund 50 Mio. Jahren haben sich die Pferde aus ihrer Stammform, dem etwa fuchsgroßen Hyracotherium (Eohippus) entwickelt. Der Eohippus lebte im heutigen Nordamerika. Zu einem Seitenzweig gehörten die aus Messel bekannten Urpferde der Gattung Propalaeotherium. Anfangs fraßen die Urpferde Laub und Früchte und lebten in Wäldern, später gingen sie in offene Landschaften und ernährten sich von Gras. Ein Seitenzweig der Pferde gelangte gegen Ende des Pliozäns, also vor etwa 2,5 Mio. Jahren, von Amerika nach Asien. Alle in Amerika lebenden Pferde starben dagegen am Ende oder kurz nach der letzten Eiszeit aus. Der Grund für dieses Aussterben ist nicht bekannt. Die Pferde waren somit in prähistorischer Zeit vielleicht noch Zeitgenossen der ersten Indianer in Amerika und kamen dann ab dem 15. Jahrhundert mit den spanischen Eroberern zurück in ihre alte Heimat.
 
 
Domestikation ab dem 4. Jahrtausend v. Chr.
 
Anfangs wurden die Wildpferde von den Menschen nur gejagt. Ab etwa 4000 v. Chr. begann dann in den Steppen Eurasiens die Domestikation der Pferde. Ab der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. kannte man Pferde in Indien und in China als Last-, Reit- und Opfertiere, wie Abbildungen von Reitern in Ritzzeichnungen auf Knochen belegen. Erstmals schriftlich erwähnt wurde das Pferd in einer Urkunde aus dem Zweistromland (Mesopotamien), die von etwa 2000 v. Chr. datiert. Ab dem 17. Jahrhundert v. Chr. sind Pferde auch in Ägypten bekannt. Dagegen war die Reiterei im antiken Griechenland eher unbedeutend, auch die Römer erkannten erst spät, wie schlagkräftig ein Reiterheer war. Wichtig war hier die Erfindung des Streitwagens. Im Mittelalter waren dann es dann die Ritter, die den Pferden als Transportmittel und Kampfgefährte besondere Bedeutung verschafften. Bis zur Erfindung von Eisenbahn und Automobil waren Pferde als Reit- und Zugtiere für den allgemeinen Verkehr unersetzlich.
 
Große religiöse Bedeutung
 
In vielen Religionen, vor allem in den indoeuropäischen, kam dem Pferd eine große Bedeutung zu. Die Menschen tranken Stutenmilch und daraus hergestellten Kumys, da sie das Pferd für die Amme des Menschen hielten. Auch wurde es oft zum Träger der Verstorbenen und deshalb einem Toten als sein wertvollster Besitz mit ins Grab gegeben. Es gab Götter in Gestalt eines Pferdes, viele Götter waren auch beritten. In den Religionen vieler Völker fuhr der Sonnengott vierspännig über den Himmel, so der Sonnengott Schamasch bei den Sumerern, Mithra bei den Iraniern, Helios bei den Griechen und Sol bei den Römern. Sogar sieben Pferde hat der Sonnengott der Hindus, Surya, vor seinem Wagen. In der »Edda« ziehen die Pferde Arvakr und Alsvidr die Sol. Viele Völker kannten auch Pferdeopfer. Zudem wurden zum Schutz gegen Dämonen und andere böse Geister Pferdeschädel an Bäumen und an den Giebeln von Häusern aufgehängt.
 
 Hauspferde
 
 
Hauspferde, also Pferde im engeren Sinne, sind hochbeinige Lauf- und Fluchttiere. Pferde leben von Pflanzen. Da sie ursprünglich in der Steppe beheimatet waren, ist der Verdauungstrakt immer noch darauf abgestimmt, dass täglich zur Futtersuche lange Strecken zurückgelegt werden müssen und dass dabei regelmäßig kleine Mengen des schwer verdaulichen Futters gefressen werden. Die Pferde haben an ihren Schneidezähnen eine typische, tütenartige Einstülpung im Schmelz (die Bohne). Die Backenzähne haben Schmelzfalten, Eckzähne gibt es nur bei Hengsten. Das Alter der Pferde kann man anhand des Gebisses bestimmen, da es sich aus dem Grad der Abnutzung der Zähne ermitteln lässt. Im Durchschnitt werden Pferde 16—18 Jahre alt, sie können aber auch ein Alter von bis zu 40 Jahren erreichen. Die Größe der Pferde variiert stark. So kann das englische Shire Horse ein Stockmaß von 180 cm (Widerristhöhe) haben, während dieses Maß beim Falabella aus Argentinien nur 71 cm beträgt.
 
Unterscheidung nach Fell- und Langhaarfarbe
 
Nach der Farbe von Fell und Langhaar gibt es bei den Pferden folgende Unterscheidungsmöglichkeiten: Braune haben ein hell- bis dunkelbraunes Fell, schwarzes Langhaar und schwarze Füße. Füchse besitzen Fell und Langhaar in rotbrauner Farbe, wobei es hier stark variierende Schattierungen gibt — vom hellen Lehmfuchs bis hin zum Kohlfuchs, der fast schwarz ist. Rappen erkennt man am schwarzen Fell und Langhaar, die Schimmel haben dagegen weißes Fell und Langhaar sowie dunkle Augen. Besitzen Pferde einzelne weiße Haare im Fell, so sind dies »Stichelhaare«, Pferde mit vermehrt weißen Haaren heißen Rotschimmel, Rappschimmel oder Apfelschimmel. Auffällig sind auch die weißen Abzeichen, die viele Pferde im Fell haben, so etwa die »Blesse« auf dem Nasenrücken. Als Schecken bezeichnet man ein Pferd, das ein Fell mit weißer Grundfarbe hat, auf dem sich viele unregelmäßige braune und/oder schwarze Flecken befinden.
 
Einteilung in Vollblut-, Warmblut- und Kaltblutpferde
 
Nach Temperament und Körperbau kann man die Pferde einteilen in Vollblut-, Warmblut- und Kaltblutpferde. Das Vollblutpferd zeichnet sich durch seinen hohen, leichten Körperbau und sein besonderes Temperament aus. Zu den Vollblutpferden gehören das arabische und das englische Vollblut sowie die Traber. Warmblutpferde sind alle Pferderassen, die besonders geeignet sind für das Reiten sowie als Wagenpferde und für den leichten Zug. Innerhalb der Warmblutpferde unterscheidet man noch zwischen edlem und schwerem Warmblut. Kaltblutpferde zeichnen sich durch ihr ruhiges Temperament aus. Sie sind frühreife Tiere, die auf Körpermasse und Starkknochigkeit hin gezüchtet sind. Sie eignen sich besonders für den schweren Zug.
 
Geschlechter, Tragdauer, Aufzucht
 
Das weibliche Pferd heißt Stute, das männliche Hengst, der kastrierte Hengst ist der Wallach. Junge Pferde sind die Fohlen. Mit etwa 18 Monaten werden Pferde geschlechtsreif, je nach Rasse dauert es allerdings bis zum Alter von 24—30 Monaten, bis die Fortpflanzungsfähigkeit eintritt. Die Stuten tragen zwischen 320 und 336 Tagen, die Tragdauer kann auch bis zu 360 Tagen betragen. Zwillingsgeburten sind bei Pferden die Ausnahme, in der Regel bringen die Stuten ein Junges zur Welt. Dieses wird von der Mutter vier bis fünf Monate gesäugt, bis es abgesetzt wird. Bei der Aufzucht werden Fohlen und Jungpferde meist in Gruppen gehalten. Die Ausbildung von Pferden — zum Renn-, Reit-, Wagen- oder Zugpferd — erfolgt in der Regel im Alter von zwei bis vier Jahren.
 
 
Durch die technische Entwicklung hat sich im 20. Jahrhundert eine starke Verlagerung ergeben von der Nutzung des Pferdes als Gebrauchspferd hin zur Nutzung für den Sport. So werden die Pferde in Deutschland, deren Bestand Anfang der 90er-Jahre bei etwa 500 000 lag, vor allem im Reit- und im Fahrsport eingesetzt. Der Reitsport umfasst Pferdeleistungsschauen (Reitturniere), Vielseitigkeitsprüfungen (Military), Galopprennen, Reitjagden, Reiterspiele, Sportspiele zu Pferd — wie Polo und Pushball — sowie Reittouristik. Die hohe Schule der Reitkunst ist das Dressurreiten. Zum Fahrsport gehören Trabrennen, fahrsportliche Leistungsprüfungen und Korsofahren. Ferner gibt es pferdesportliche Leistungsprüfungen anderer Art wie das Voltigieren. Im Pferdesport haben deutsche Reiterinnen und Reiter eine wohl unvergleichliche Erfolgsbilanz vorzuweisen. Namen wie Hans Günter Winkler, Reiner Klimke und Ludger Beerbaum stehen für Siege in allen bedeutenden Wettbewerben — und das kontinuierlich über Jahrzehnte. Der Reit- und Fahrsport in Deutschland mit Ausnahme des Galoppsports wird repräsentiert durch die »Deutsche Reiterliche Vereinigung« mit Sitz in Warendorf. Verantwortlich für die Förderung und Überwachung der Vollblutzucht und oberste Aufsichtsbehörde für die Durchführung von Rennen ist das »Direktorium für Vollblutzucht und Rennen e. V.« mit Sitz in Köln.
 
 
Rahn, Antje und Fellmer, Eberhard: Pferdekauf heute. Kauf und Verkauf, Beurteilung, Gesundheit, Recht. Warendorf 1996.
 Budras, Klaus-Dieter und Röck, Sabine: Atlas der Anatomie des Pferdes. Hannover 31997.
 Werner, Heidrun: Die große Enzyklopädie der Pferderassen. Niedernhausen 1997.
 
Aktuelle Fragen der Pferdezucht, herausgegeben vom Institut für Tierzucht und Tierhaltung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Bonn 1998.
 
Das heilpädagogische Voltigieren u. Reiten mit geistig behinderten Menschen, herausgegeben von Wilhelm Kaune. Warendorf 31999.
 Kapitzke, Gerhard: Das Pferd von A-Z. München 51999.
 McBane, Susan und Douglas-Cooper, Helen: Bassermann-Handbuch Pferde. Aus dem Englischen. Niedernhausen 1999.
 Simon-Schön, Bianca: Wörterbuch der Reiterei und des Fahrsports. Dictionary of equitation and carriage driving. Warendorf 41999.
 Chmiel, Claus: Pferdesportler fit gemacht. Training für Reiter, Voltigierer u. Fahrer. Warendorf 32000.
 Lamparter, Christian: Fahren mit Pferd & Kutsche. Frankfurt am Main 42000.

Universal-Lexikon. 2012.

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